Eric Friedler ist nicht nur einer der renommiertesten Dokumentarfilmemacher Deutschlands, sondern seit einigen Jahren auch ein guter Freund von uns. Wir lernten ihn kennen, als er mit uns den Film „Nichts als die Wahrheit - 30 Jahre Die Toten Hosen“ drehte, was eine äußerst intensive Zeit für alle Beteiligten war. Schon davor hatten wir einige seiner hervorragenden Dokumentationen gesehen - z.B. „Aghet - Ein Völkermord“ oder „Das Schweigen der Quandts“ - und waren sehr beeindruckt davon, wie präzise, fesselnd und von welch enormer Relevanz Erics Arbeiten sind. Dabei ist er nicht nur Dokumentarist, sondern auch Künstler. Zuletzt hat er gemeinsam mit Campino als Hommage zu Wim Wenders 75. Geburtstag den Film „Wim Wenders - Desperado“ gemacht, den ihr „hier“ in der ARD-Mediathek schauen könnt. In unserem überfälligen Freunde des Hauses-Interview gibt Eric Friedler ausführlich Auskunft über sein Schaffen.

Lieber Eric, bekannt bist du vor allem als Filmemacher, bist aber auch Redakteur beim Fernsehen für Dokumentarfilme. Hast du dir das früher mal so vorgestellt, dass du all das später so machen möchtest, oder bist du da eher reingerutscht?

Ja, ich bin da tatsächlich irgendwie reingerutscht. Und: Ich wollte tatsächlich schon immer das machen, was ich mache. So richtig vorstellen konnte ich mir das allerdings nicht. Dass es funktioniert, Filme machen zu dürfen oder auch mal eigene Ideen zu verwirklichen, hätte ich nicht gedacht. Seine Beobachtungen von der Welt anderen Menschen darlegen zu dürfen, ist ein großes Privileg. Aber ich habe anfangs wirklich nicht gewusst, ob es funktionieren wird.

Und war Dokumentarfilm für Dich da die einzige, die richtige Form?

Absolut. Ich habe mich für den Dokumentarfilm entschieden, weil ich gemerkt habe, dass eine längere Auseinandersetzung mit einem Thema einfach mein Ding ist. Jedes Mal setze ich mich gerne diesem mühsamen Prozess aus und bin gerne ein Jahr oder noch länger mit einem Projekt beschäftigt. Um sich diesem ganzen Wahnsinn auszusetzen, muss man schon ein gewisser Typ Mensch sein. Neben der Realisierung muss man unweigerlich immer an das Projekt denken, so geht es mir jedenfalls. Ich gehe damit zu Bett und stehe damit auf. Die Gedanken an dem Film nimmt man mit zum Frühstück oder ins Wochenende. Ich bin irgendwie pausenlos damit beschäftigt. Gesund ist das jedenfalls nicht. Ich bin aber davon überzeugt, dass, wenn man so etwas wie einen Film richtig machen will, eine gewisse Obsession dazugehört. Das ist möglicherweise vergleichbar mit der Entstehung eines Albums. Erst wenn das neue Werk raus ist, kann man halbwegs ruhig schlafen. Aber das erst einmal auch nicht so ganz, denn dann kommen die nächsten Gedanken: Mögen es die Leute? Hat man alles richtig gemacht? Hätte man noch an dies oder jenes denken müssen? Man möchte gerne verstanden werden, weiß aber nicht, ob die anderen einen verstehen. Man hat eine wahnsinnige Arbeit und Energie im Entstehungsprozess und dann auch noch mal diesen Psychothriller in der Auseinandersetzung mit den Kritikern. Da muss man schon ein ziemlicher Masochist sein, um immer wieder alles auf eine Karte setzen zu wollen. Aber es macht mir große Freude. Ich bin gesegnet und kann für mich sagen: Ich habe den schönsten Beruf der Welt.

Wie kommst du auf die Themen für deine Filme?

Das kann ich dir wirklich nicht sagen. Die Themen kommen einfach. Ich interessiere mich für die unterschiedlichsten Dinge. Die Geschichte zweier Deutscher, die in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre Heimat verlassen mussten und in Amerika die Jazzwelt revolutionierten („It Must Schwing! Die Blue Note Story“, Anm. d Red.) ist für mich ebenso faszinierend, wie der Frage nachzugehen, was die Toten Hosen für die Bundesrepublik so bedeutsam machen.

Du meinst deinen Film „Nichts als die Wahrheit“ über die Hosen, der 2012 erschien. Wie würdest du dessen Relevanz beschreiben?

Wer in Deutschland lebt, kommt an den Toten Hosen nicht vorbei. Gleichgültig, ob man ihre Musik mag oder nicht. Eigentlich war ich nie ein Fan, trotzdem wusste ich immer, dass es diese Band gibt und zwar seit Jahrzehnten. Mich hat beschäftigt, was diese Musiker seit 30 Jahren zusammen hält. Ich war neugierig, wie das funktioniert. Wie arbeiten die miteinander? Sind das Freunde? Mit welchen Idealen sind sie gestartet, wo stehen sie heute? Seit 1982 also spielt die Band, mit Ausnahme der Schlagzeuger, in ein und derselben Besetzung. In unserer so gern als schnelllebig beschriebenen Welt eine Ausnahme und in unseren Tagen, in denen man sich den Namen manch einer neugegründeten Band vor ihrer Auflösung kaum merken kann, fast ein Unikum. Gibt es ein Rezept für diesen Zusammenhalt? Was spielt sich im Proberaum ab, wenn die Band nicht auf der Bühne steht? Welchen Regeln folgen sie? Woran glauben sie? Die Toten Hosen waren niemals Nachwuchskünstler, die bereits als Kinder Klavier übten oder zur Musikschule gebracht wurden, wie sie freimütig erzählen. Sie waren nur Jungs aus derselben Nachbarschaft, die weniger Musik machen, als vor allem eine Band sein wollten. Ihre Relevanz für die Gesellschaft kann ich darüber hinaus folgendermaßen beschreiben: Hier geht es nicht nur um großartige Musiker, die durch ihre Lieder und durch ihre Kunst Millionen von Menschen über mehr als drei Jahrzehnte etwas geschenkt haben. Hier geht es auch um Menschen, die durch ihr Engagement gegen Rechtsradikalismus, gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus einen unvergleichlichen Beitrag für die Gesellschaft geleitstet haben. Die Bedeutung dieses Engagements kann man gar nicht hoch genug bewerten. Es gibt kaum eine Band in der Bundesrepublik Deutschland, die über Jahrzehnte hinweg so kontinuierlich Haltung gezeigt hat. Dazu kommt noch dieses immense soziale Engagement, die Wohltätigkeit, die Großzügigkeit - verbunden mit einer unglaublichen Selbstlosigkeit. Viele Dinge bekommt man gar nicht mit, da sie sie nicht an die große Glocke hängen. Und: Die Toten Hosen sind deutsche Geschichte. Und eben nicht nur westdeutsche Geschichte, sondern auch ostdeutsche Geschichte. Allein, was die damals in Ostberlin gemacht haben. Wenn du mich fragst, was mein nächster Film sein soll: Ich möchte einen Film machen - und wenn mir da irgendjemand zuvor kommt, dann werde ich aber wild - über deren Konzert in den Achtziger Jahren in Ostdeutschland, als sie illegal über die Grenze gegangen sind. Nicht per Einladung, wie Udo Lindenberg, als er im Palast der Republik gespielt hat. Sondern einfach hin und das Konzert gemacht und wieder raus. Das ist schon wieder eine Sache gewesen, wo man sagen muss, das können nur die Hosen so gemacht haben. Diese Band ist untrennbar mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verbunden. Sie sind sozusagen die Forrest Gumps der deutschen Geschichte. Überall, bei jedem Ereignis, wo du irgendwie reinguckst, tauchen die immer im Bild auf. Da siehst du immer irgendeinen von den Toten Hosen. Es ist wie bei Forrest Gump, der bei jeder Situation im Weißen Haus dabei war. So siehst du auch in jeder Dekade der BRD die Toten Hosen. Die Bandgeschichte ist immer wieder mit der Geschich¬te ihres Landes verbunden, die Lieder der Toten Hosen spielen vor dem Hintergrund der Anti¬-Atomkraft-¬Bewegung oder vor den Bildern der neonazistischen Pogrome in Rostock -Lichtenhagen nach der Wiedervereinigung.

Wie kam es überhaupt dazu, dass du einen Film über die Toten Hosen gemacht hast?

Eric Friedler mit Charlie Harper, dem Frontmann der legendären UK Subs bei den Dreharbeiten zu "Nichts als die Wahrheit - 30 Jahre Die Toten Hosen"

Wir hatten uns zunächst in Berlin getroffen und ich kam so an, wie ich immer ankomme: Im Anzug und Hemd und schwarzem Pulli. Ich bin, zumindest in der Außenwirkung, eher der buchhalterische Typ, der Nerd. Und Campi, Andi, Breiti, Kuddel und Vom - sie sind halt cool, klug, charmant, haben eine tolle Ausstrahlung, sehen toll aus. Ich bin eher pummelig und Brillenträger. Wir alle merkten, dass hier zwei Welten aufeinandertrafen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Von Anfang an haben wir uns gut verstanden und die Band hat mir ihr Vertrauen geschenkt. Sie haben gesehen, dass ich keinen oberflächlichen Wahnsinn vorhatte, sondern versuchen wollte, in die Tiefe zu gehen. Ich habe ihnen aber auch von Anfang an gesagt, dass ich auch kritische Fragen stellen und Themen behandeln werde, die nicht angenehm sind. Der Band war klar, dass sie mit diesem Film das Risiko eingeht, hier einmal nicht die letzte Instanz zu sein. Sie wussten auch, dass keine irgendwie geartete „Abnahme“-Situation stattfinden würde. Interessanterweise waren die Bandmitglieder aber genau daran interessiert. Sie waren gespannt, wie ein schonungsloser, ein frischer Blick von außen sie einfängt – und begegneten mir mit bewundernswerter Ehrlichkeit. Sie haben mir ihre Türen geöffnet, ließen unsere Kameras im Proberaum bei konzentrierten Proben zu, hinter der Bühne, bei Auseinandersetzungen oder nur mit Badehandtuch bekleidet. Mir war schnell klar, dass ich keinen Film ausschließlich für Fans machen würde, sondern einen, der hinter die Kulissen schaut und sich dem Phänomen dieser musikalischen Arbeit und dieses gemeinsamen Lebens nähert. Armut, Drogen, Punk, Sex, das eigene Erwachsenwerden, Misserfolge und Höhepunkte, Frauen und Männer, Medien, Kommerz, Musik, Kinder, persönliche Rückschläge und emotionale Katastrophen – die Hosen waren direkt, zeigten sich unverfälscht und ließen so eine große Nähe zu. Im Film sprechen sie mit einer unglaublichen Offenheit. Aufrichtig und uneitel haben sie mir ihre Geschichte erzählt. An eine Aussage erinnere ich mich sofort. „Es war auf der allerersten Tournee 1982: Ein verregneter Oktobertag. Wir sind von Saarbrücken nach Kassel gefahren und kamen gerade an Frankfurt vorbei. Und da habe ich mich gefragt: Ist es das, was du machen willst? Und die simple Antwort war: Ja.“ Breiti sieht im Interview nachdenklich lächelnd vor sich hin. Seine Worte lassen das typische Bild eines deutschen Herbsttages auf einer Autobahn entstehen: Die Regentropfen, die sich im Fahrtwind auf dem Seitenfenster zu jagen scheinen, das monotone Geräusch der Scheibenwischer, die Scheinwerfer der anderen Autos, die matt durch das trübe Grau scheinen. Und doch verändert dieser scheinbar unspektakuläre Moment Breitis ganzes Leben. Denn danach ist ihm klar, dass es für ihn nichts anderes mehr geben kann als das Leben eines Musikers, der mit seiner Band die Welt bereist.

Wie fügt sich dieser Film in die Reihe deiner bisherigen Filme?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich – gleichgültig, welche Geschichte ich mir vornehme – immer Geschichten über Deutschland erzähle. Auch die Laufbahn der Toten Hosen ist natürlich eng mit der Entwicklung des Landes verzahnt. Wir erleben ihren Aufbruch und ihre Rebellion gegen eine Periode, die BAP-Sänger Wolfgang Niedecken einmal wunderbar als „eine bleiverglaste-nach-Frikadellen-und-kaltem-Zigarettenrauch-miefende-Eckkneipen-Zeit“ beschrieben hat. Wir erfahren von ihrem Entsetzen darüber, dass ihnen bei ihren ersten legalen Konzerten in der ehemaligen DDR der offene Rassismus entgegenschlägt, der schließlich zu den Pogromen in Rostock Lichtenhagen führte. Wir sehen den Toten Hosen beim Leben zu und reisen durch 30 Jahre Deutschland. Und wer kann über Die Toten Hosen besser Auskunft geben als sie selbst? Mir erschien die spezifische Schnittmethode des großen Dokumentarfilmers Eberhard Fechner - man spricht auch von einem „künstlichen Dialog an einem imaginären Tisch“ - für die Geschichte dieser Band das adäquate Stilmittel. Schließlich leben alle Protagonisten, sie können selbst erzählen, einander ergänzen, einander widersprechen.

Man könnte fast das Gefühl haben, dass es die Hosen schon immer gab. Zumindest warst du noch ein Kind, als sie sich gegründet haben. Kannst du dich noch daran erinnern, wann und wie du sie zum ersten Mal wahrgenommen hast?

Ich habe die Hosen erstmals so richtig wahrgenommen durch den Film „Langer Samstag“, in dem Campino mitgespielt hat. Das war 1992, ein irrer Film. Ich hatte die Hosen auch schon in den Achtzigern miterlebt, aber Campino selbst als Figur hab ich erst in diesem Film gesehen. Da habe ich gedacht, „huch, wer ist das denn jetzt?“. Er hatte diese Coolness, diese Frechheit. Vorher hatte ich die Hosen vielleicht mal bei der Musiksendung Formel Eins mitbekommen, wo sie immer neben irgendeiner brennenden Tonne stehen mussten. Die sogenannten „brennende Tonne“ erschien damals der Inbegriff von „Punk“ zu sein. Völlig absurd.

Aber du hast eher andere Musik gehört?

Ja, schon. Aber ich mag die Musik der Hosen. Letztendlich habe ich ihre Musik richtig tiefgreifend entdeckt durch die Auseinandersetzung im Film. Ich wusste natürlich schon vorher, wer die Toten Hosen sind und ich kannte auch Lieder. „Opel-Gang“ zum Beispiel, diese frühen Aufnahmen, die fand ich gut. Aber ich habe mir da nie zahlreiche Platten gekauft. Ich glaube, ich hatte ein oder zwei. Eine habe ich geschenkt bekommen von meinem Bruder, das war mein erstes Hosen-Album, und irgendwann habe ich mir dann auch noch eine gekauft.

Dein Film „Das Schweigen der Quandts“ über eine deutsche Unternehmerfamilie, deren großer Reichtum auf Zwangsarbeit im Nationalsozialismus basiert, hat dazu geführt, dass diese Familie sich erstmals, wenn auch unbefriedigend, geäußert hat - weil der öffentliche Druck zu groß wurde. Geht es dir mit deinen Filmen auch um eine politische Einflussnahme oder war das eher ein Nebeneffekt? Hast du ein politisches Selbstverständnis als Filmemacher?

Man hat mich mal gefragt, ob es die Aufgabe des Dokumentarfilmers ist, vor Gedächtnisverlusten zu schützen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Und ich meinte: Ich bin zwar nicht Hanns-Joachim Friedrichs, der einmal sagte, „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, so gut diese auch sein möge“. Aber auch ich liefere, bei aller Leidenschaft für ein Thema, keine Botschaften. Ich bin Journalist und kein Aktivist. Auch wenn ich mich mit einer Sache identifizieren kann, versuche ich mein Bestes, sachlich und neutral zu bleiben und ausschließlich die Fakten sprechen zu lassen.

Soeben ist zum 75. Geburtstag von Wim Wenders der Film „Desperado“ erschienen, für den du Wenders gemeinsam mit Campino ein Jahr in seinem Alltag in vielen verschiedenen Ländern begleitet hast und mit vielen seiner Wegbegleitern gesprochen hast. Warum ist Wim Wenders so wichtig?

Wim Wenders ist ja ein Meister der Leinwandbilder. Wir wollten dem auf jeden Fall durch eine sehr eigene filmische Gestaltung entsprechen. Wir wussten von Anfang an, dass wir keinen klassischen Porträtfilm machen wollten. Wim Wenders ist einer der großen Vertreter des sogenannten Neuen Deutschen Films, man kann auch sagen: des Gegenwartskinos. Und unser Film sollte keinen Nachrufcharakter haben. Dazu ist Wim Wenders viel zu aktiv. Künstler wie er gehen nicht irgendwann in Rente, sie arbeiten einfach immer weiter - gleichgültig, wie alt sie sind. Und Campino und ich haben einen Film über das Leben von Wim Wenders im Jahr 2019 gemacht. Das war eben auch vor der Corona-Krise, in einer Zeit, in der ein international gefeierter Künstler wie er in der ganzen Welt unterwegs war. Er hat in Wien eine Ausstellung seiner Fotos eröffnet, in den USA einen Film über den Maler Edward Hopper gedreht, in China an der Filmhochschule in Peking eine Masterclass gehalten, in Frankreich eine gigantische Installation mit Bildern aus seinen Filmen begleitet. Und immer legte er ein irres Tempo vor, bei dem auch wesentlich jüngeren Menschen schwindelig werden kann. Campi und mir ist es ein Rätsel, wie man noch mit 75 Jahren 13 bis 16 Stunden am Tag mit einer solchen Ausdauer arbeiten und solch eine Kraft in seine Projekte legen kann und einfach unermüdlich versucht, sie zu verwirklichen. Auch daran haben wir gesehen, dass es hier auch um einen Menschen geht, den man nicht vom Künstler trennen kann. Was uns vielleicht am meisten fasziniert hat, war, dass man den Menschen Wim Wenders versteht, wenn man seine Filme ansieht. Er ist ein absoluter Künstler, der die gesamte Welt und das Leben an sich durch die Augen eines Künstlers sieht. Und immer stellt er sich und dem Zuschauer die Frage: Wie soll man leben? Das ist die Grundfrage, die er immer stellt. Und darauf versucht er selbst immer Antworten zu finden. Campi hat seine eigene Biografie mit Wim, dadurch dass Wim Musikvideos mit den Hosen gedreht hat. Gleichzeitig war Campi ja 2008 auch Hauptdarsteller in Wims Film „Palermo Shooting“. Seitdem gibt es ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden, eine Freundschaft. Bei mir war es so, dass Wim als ausgesprochener Musikexperte und Jazzfreund bei meinem Film „It must schwing! Die Blue Note Story“ über das legendäre Jazzlabel Blue Note der Executive Producer war. Daher kam unsere Verbindung. Schon da hat mich seine Begeisterungsfähigkeit immer wieder überrascht und berührt. Selbst bei der zehnten Vorführung des Films schnippte er jedes mal hingerissen mit, tauchte völlig ein in die Geschichte und kicherte bei den lustigsten Momenten. Viele Protagonisten, die ich für „Desperado“ interviewt habe, erzählten von diesen schönen Augenblicken, in denen Wim Wenders der Welt staunend wie ein Kind gegenübersteht.

Du hast zusammen mit Campino Regie geführt. Wie sah eure Zusammenarbeit denn konkret aus, wie habt ihr das gemacht?

„Wim Wenders, Desperado“ zu machen, war ein regelrechtes Abenteuer. Wim zu porträtieren, hat zwar tatsächlich einiges mit Kinogeschichte zu tun, aber doch viel mehr mit dem Leben eines äußerst aktiven Künstlers. Wir haben keinen retrospektiven Film gemacht, sondern eine Bestandsaufnahme. Wim Wenders sagt in unserem Film, dass ihm ein Erzählen, bei dem man schon weiß, wie es endet, wie Schummeln vorkommt. Das heißt, er filmt ohne Drehbuch und er entwickelt die Geschichte von Tag zu Tag. Er schreibt abends im Hotelzimmer dann die Szene für den nächsten Morgen. Der Grund, warum ich das erzähle, ist, dass Campi und ich uns in genau diesem Sinne auch erst einmal auf die Reise gemacht haben, ohne zu wissen, welche Szenen unser Film haben wird. Ich kann Dir versichern, dass wir nicht geschummelt haben. Im Wenderschen Sinne haben wir alles richtig gemacht. Und sagen wir mal so, ich bin eher der Nerd, der gerne in das Rohmaterial reinschaut, sich in Dinge vertiefen kann, sich stundenlang Interviews anhört, sich Situationen noch einmal vor Augen führen kann. Campis Sache ist das so nicht (lacht). Er ist eher jemand, der in der Situation selbst mit mir zusammen Dinge in Augenschein nimmt und analysiert. Und weil wir uns kennen, mögen und vertrauen, konnten wir oft ohne viele Worte Entscheidungen treffen. Manchmal war es Campino, der die richtigen Momente, die richtigen Worte, die richtigen Situationen sah und mal war ich es.

Eric Friedler und Campino zusammen am Set von "Desperado"

Als Schauspieler war er ja schon ein paar mal tätig. Regie war jetzt neu. Ist an Campino ein Filmemacher verloren gegangen?

Da ist nichts verloren gegangen. Campino ist ein toller Filmemacher.

Welche Ereignisse bei den Dreharbeiten sind dir besonders im Gedächtnis geblieben?

Die Begegnung von Wim Wenders und Werner Herzog, dieser beiden Tycoone, war großartig. Werner Herzog hat ja in den Vereinigten Staaten eine derartige Berühmtheit erlangt - er gehört wirklich mittlerweile zur amerikanischen Popkultur. Das Treffen zwischen ihm und Wim war sehr intim, sehr freundschaftlich, andererseits auch ab und an direkt und kritisch. Oder die Fahrt zu der Stelle, wo Wim Wenders seine Eröffnungsszene für „Paris, Texas“ gedreht hat. Das war im sogenannten „Devils Playground“ und niemand wusste mehr, wo die Stelle war. Auch Wim nicht. Diese Fahrt ins Ungewisse war abenteuerlich und ich bin bis heute glücklich, dass wir da gesund wieder rausgekommen sind. Eine weitere Begebenheiten werde ich nie vergessen: Wir waren mit Wim in Terlingua in Texas - dort haben viele Dreharbeiten zu „Paris, Texas“ stattgefunden. Ein Ort, an dem man nicht begraben sein möchte. In einem Clubhaus für amerikanische Veteranen, man nennt es dort noch heute „American Legion“, saßen einige Männer und Frauen und tranken Bier. Als wir zu drehen begannen, sagte einer von ihnen plötzlich zu Campi:, „Hey, you’re Campino, right?“. Campi schaut ihn an, fängt laut an zu lachen und sagt: „Oh my god! Flea!“. Da saß tatsächlich Flea, der ehemalige Bassist der legendären Punkband UK Subs. Er saß da, als sei es das Normalste in der Welt und als sei nichts gewesen. Seit Jahren wusste keiner, was aus ihm geworden war, er galt als verschollen. Er hatte einen Cowboyhut auf und sah jetzt nicht mehr so aus wie ein Musiker der UK Subs. Campi fragte ihn, „What are you doing here?“ Es stellte sich heraus: Flea war vor Jahren eigentlich nur auf der Durchreise gewesen und ist dann aber in Terlingua hängengeblieben und nie wieder weggefahren. Es war wie eine Begegnung der dritten Art. Die beiden haben sich total gefreut, standen noch lange da und haben sich lange unterhalten. Dieses Aufeinandertreffen mit Flea war einfach unglaublich. So etwas erwartest du nicht an so einem Ort. Am Ende der Welt.

Campino und Eric mit anderen Mitwirkenden am Set von "Desperado"