Cordula, was hat Dich an den Hosen so interessiert, dass Du unbedingt einen Kinofilm über sie drehen wolltest?

Ich finde die Hosen seit ihrer Gründung gut, mochte ihre Musik schon in den frühen 1980ern. Ich war damals auch Fan der Sex Pistols. Als ich viele Jahre später fürs Fernsehen mit Campino gedreht habe, war ich bei einigen Konzerten auch hinter den Kulissen. Was mich dabei beeindruckt hat, war die Professionalität und die Energie untereinander. Man merkt einfach an allen Ecken und Enden, dass die Hosen miteinander befreundet sind.

Es waren also nicht Deine ersten Dreharbeiten mit Campino...

2006 habe ich zum ersten Mal mit ihm gedreht. Ich war damals für die Sendung „Durch die Nacht mit“ auf Arte verantwortlich. Da haben wir eine Folge mit Klaus Maria Brandauer und ihm gedreht. Und die ist dann auch richtig gut geworden. 2008 habe ich nochmal für die ARD-Serie „Deutschland Deine Künstler“ mit Campino zusammengearbeitet. Dabei lernte ich auch die restliche Band kennen.

Was war anders, als Du 2018 – also zehn Jahre später – wieder in das Hosen-Universum eingetaucht bist?

Wenn man zweimal so intensiv zu einem Thema arbeitet, hat man erstmal alle seine Fragen beantwortet. Die zehn Jahre Pause waren von daher gut für den Film. In der Zwischenzeit ist für die Band auch sehr viel Neues passiert. Der riesige Erfolg durch „Tage wie diese“ hat sie nochmal in eine andere Dimension katapultiert.

Was hat sich dadurch für die Band verändert?

Dass sie so selbstverständlich 60.000er-Stadien füllen, ist für eine deutsche Band schon etwas Besonderes. Sie haben sich in der Akzeptanz nochmal gesteigert, sind endgültig jedem bekannt geworden. Und genau deshalb habe ich auch gedacht: Darüber müsste man doch mal einen Film machen!

Du hast vorher noch keine Musik-Doku gemacht. Woran hast Du Dich orientiert?

Ich habe mir den Rammstein-Kinofilm angesehen und fand ihn ganz gut – aber das war nur ein Film für Hardcore-Fans. Ein großes Vorbild für uns war natürlich „Some Kind of Monster“, die großartige Metallica-Doku. Da haben die Filmemacher ewig lange mit der Band gedreht, um so nah wie möglich ranzukommen. Ich habe mir dann gedacht, dass eine Mischung aus beiden Ansätzen sehr interessant wäre.

Wie haben die Hosen auf Deinen Vorschlag reagiert?

Ich habe ihnen die Idee 2017 nach Erscheinen von „Laune der Natur“ vorgestellt, aber zuerst passte der Zeitpunkt nicht so richtig. Vielleicht in zwei Jahren, war die erste Antwort. Aber dann klingelte das Telefon im Februar 2018 mitten auf der Berlinale, und JKP-Geschäftsführer (Patrick Orth)[https://www.dietotenhosen.de/magazin/patrick-orth] war dran.

Was hat Patrick Orth zu Dir gesagt?

Die Band hätte es sich noch einmal überlegt, und sie würden den Film jetzt doch gerne machen. Ich habe nachgefragt: Wann soll es denn losgehen? Für die Vorbereitung und Finanzierung eines Kinofilms braucht man normalerweise sehr viel Zeit. Die Antwort war: In zwei, drei Wochen...

Wie ist es Euch gelungen, das Projekt so kurzfristig auf die Beine zu stellen?

Ich habe zum Glück sehr schnell einen Verleih gefunden. Und so ist es mir auch gelungen, Fördergelder von der Filmstiftung NRW zu bekommen. Mein Kameramann Christopher Rowe und ich wollten mit den kinotauglichen Kameras drehen. So haben wir es geschafft, tatsächlich im Mai 2018 anzufangen. Unser Ziel war: Wir wollten bei zehn Konzerten dabei sein und mussten uns zuerst überlegen, welche das sein sollten.

Der Engländer Paul Dugdale filmte die Band auf der Bühne. Man glaubt als Zuschauer regelrecht, mit auf der Bühne zu stehen. Wie war Eure Zusammenarbeit?

Es war für mich das erste Mal, dass ich mit einem Co-Regisseur gearbeitet habe. Ich hatte mir vorher angesehen, wie er die Rolling Stones gefilmt hatte, und ich fand das sehr gut. Wir haben dann telefoniert und uns direkt sehr gut verstanden. Er hat mir gesagt, dass er die Konzerte mit sechs Kameras filmen würde, eventuell noch eine siebte im Mosh-Pit – immer nah dran und authentisch. Das passte natürlich hervorragend zu dem, was ich dokumentarisch machen wollte.

Wie sah die Zusammenarbeit ganz praktisch aus?

Das Inhaltliche und Dokumentarische lag bei mir, allein schon, weil er kein Deutsch spricht. Ich habe ihm dann einfach immer gesagt, welche sechs Songs zu welcher Stadt passen würden. Am Ende haben wir pro Konzert ein oder zwei Stücke genommen. Er hatte sein eigenes tolles Team aus England dabei, und er hat auch immer zwei meiner Dokumentar-Kameraleute bei sich eingesetzt.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, das Ganze als Tourfilm zu erzählen? Muss man das, um die Größe der Band begreiflich zu machen? Und – die Energie?!

Zu Anfang wollte ich sogar noch historisches Material mit reinnehmen, aber ich habe schnell gemerkt, dass das den Rahmen sprengen würde. Wir haben selbst so viel aktuelles Material zusammenbekommen, und das war wirklich alles spannend. Zudem hatte Eric Friedler ja schon einen Film für die ARD gemachteinen Film für die ARD gemacht, der auch historisches Material zeigte – davon wollten wir uns von unterscheiden.

Breiti hat gesagt: „Wir haben die Hoffnung von diesem Film, dass Menschen, die unsere Musik mögen, besser verstehen, was uns ausmacht.“ Mit welchem Ziel seid Ihr im Mai 2018 an die ersten Drehtage herangegangen?

Unsere Devise war: Wir sind auf Tour dabei, und es zählt nur der Moment. Wir wollten einfach wissen, wo die Band 2018 steht. Daher musste auch nicht zwingend jede Anekdote rein, die man aus ihrer langen Historie kennt.

Wie hast Du trotzdem den einen oder anderen Rückblick eingebaut?

Das hat sich einfach immer wieder unterwegs ergeben. Als sie bei dem Konzert in Chemnitz gespielt haben, hat Andi das Thema eingeordnet. Er hat gesagt, dass ein solches Engagement gegen Rechts untrennbar mit der Bandgeschichte verbunden ist. Oder – als sie im SO36 spielen – kam ihr alter Freund Heino zu Besuch. Und dann hat sich das automatisch ergeben, dass sie gemeinsam ein Buch mit alten Fotos durchgeblättert haben. Das war komplett dokumentarisch, das Buch lag da zufällig herum, da musste nichts reingeschnitten werden.

Wie wichtig ist den Hosen denn ihre Vergangenheit?

Ab und zu ist ihnen die Vergangenheit noch wichtig, aber sie leben im Hier und Jetzt. Und – da muss man ja nicht ständig über die Vergangenheit reden. Wo gibt es sonst noch eine Band, die seit 37 Jahren zusammenspielt und immer noch die Energie von früher hat? Es wird bei den Hosen auch nicht langweilig, wenn man sich mehrere Konzerte hintereinander ansieht.

Bei der Berlinale 2019

Foto Bastian Bochinski

Wie hast Du die Konzerte aus Deiner Position erlebt?

Ich habe jetzt wirklich viele Konzerte gesehen. Und jedes Konzert war gut. Es gab keine Konzerte, bei denen man hinterher sagte: Heute waren sie aber mal ein bisschen schwach. Es ist faszinierend, dass sie es immer wieder schaffen, diese Energie rüberzubringen. Und da ist es auch egal, ob es ein kleiner Club wie das SO36 ist oder ein riesiges Konzert vor 65.000 auf dem Cannstatter Wasen. Oder das Konzert in Mendoza, wo sich Campino auch noch ins Publikum schmeißt.

Und – wie war das Publikum?

Was auffällig war: Die Fans sind auf der großen Stadion-Tour im Sommer immer schon im Hellen ausgerastet. Die Hosen müssen die gar nicht zwei Stunden warmspielen und warten, dass es dunkel wird, sondern die waren ab dem ersten Song voll dabei, egal ob in Essen, Dresden oder Düsseldorf.

Hattet Ihr hinterher ähnlich viel Material wie die Kollegen bei Metallica?

Wir hatten hinterher 200 Stunden zusammen, was wirklich sehr viel ist! Eigentlich wollten wir 90 Minuten abliefern, jetzt sind es 106 geworden. Ich habe mir wirklich das komplette Material selbst angeschaut. Dazu hatten wir mehrere Mitarbeiter, die die ganzen Interviews abgetippt haben. Ich habe jetzt Aktenordner voller Interviews bei mir herumstehen.

Wie habt Ihr den Film pünktlich zur Berlinale 2019 fertig bekommen?

Wir haben bereits während der Dreharbeiten, zwischen zwei Konzerten, angefangen zu schneiden. Durch den Hörsturz von Campino hatten wir zwischendurch auch nochmal eine längere Pause, mit der wir nicht gerechnet hatten. Wir haben die Zeit genutzt, um eine erste Orientierung zu bekommen, wie man das Ganze montieren kann. Praktisch waren wir ab August 2018 immer wieder im Schnitt.

Wer hat ausgewählt, wann welcher Song zu sehen ist?

Als wir angefangen haben, war überhaupt nicht klar, wann welcher Song kommen würde. Das hat sich beim Schnitt ergeben. Wir wollten alle Klassiker dabei haben, die sie immer auf den Konzerten spielen und die ihre Bandgeschichte repräsentieren – welche aus der frühen Punk-Zeit, die politischen Lieder und die riesigen Erfolgshits. Stücke wie „Tage wie diese“ und „Hier kommt Alex“ gehörten natürlich zwingend dazu.

Die Texte passen ja oft auch haargenau zum aktuellen Thema...

Es war ein Puzzlespiel. Wir mussten schauen, was dramaturgisch passiert und welches Lied am besten dazu passt. „Bonnie und Clyde“ passte zum Beispiel vom Thema her sehr gut zum nächtlichen Schwimmbadbesuch in Dresden, weil das auch etwas Illegales war. Wir haben immer nach inhaltlichen Bezügen geguckt und danach, was von der Stimmung gut passt.

„Dokumentarisch arbeiten, heißt in erster Linie, dass du sehr, sehr viel drehst.”

Foto Walter Bieri

Manchmal hat sich die Songauswahl auch spontan bei der Probe ergeben, wie man in der Schweiz miterleben kann...

Ja, die Proberaumsituation in Luzern war genial. Die Hosen bearbeiteten ihre Setlist und wussten nicht, was sie Besonderes spielen sollten. Und dann kam die Idee mit dem „Bofrost-Mann“ auf. Wie sich das dann innerhalb der Band konkretisiert, wie sie miteinander darüber debattieren und später alle Fans im Konzert darauf abgehen, das hat mir sehr gut gefallen.

Du hast viele solcher besonderer Momente miterlebt, wo sonst niemand anderes dabei ist. Wie ist die Rollenverteilung der Band untereinander?

Für mich war genau das sehr spannend, weil ich noch nie ein Bandportrait gemacht hatte. Ich habe mich vorher gefragt: Wie gehen die miteinander um? Weil ich vorher nur mit Campino gedreht hatte, war mir vorher gar nicht klar, wer mit wem was macht. Dass sich Andi und Breiti zum Beispiel sehr stark um die Bühne kümmern, wusste ich nicht. Ich fand es toll zu sehen, dass wirklich jeder sein Spezialgebiet hat.

Was hat sich während der Dreharbeiten anders entwickelt als gedacht?

Die Hosen sind ja eine Band, die ihre Wurzeln ganz klar im Punk haben, aber natürlich ist ihre musikalische Bandbreite mittlerweile viel größer. Je länger ich mir das aber auf der Bühne anschaute, umso mehr war ich überzeugt, dass das immer noch Punk, was die Hosen machen. Was sie live rüberbringen, ist immer noch wie früher. Ich glaube nur, dass sie musikalisch besser geworden sind, weil sie längst nicht mehr besoffen auf die Bühne steigen und dadurch konzentrierter sind.

Tourleiter Kiki sagt das ja auch in einem O-Ton im Film, dass der Punk-Spirit immer noch da ist...

Es ist einfach eine sehr deutsche Eigenschaft, dass man schief angeguckt wird, wenn man erfolgreich ist. So nach dem Motto: Das kann ja irgendwie nicht mehr richtig sein! Es wäre eigentlich richtig, ihre Entwicklung als Band so zu sehen, dass das eine großartige Leistung ist. Der Erfolg der Hosen ist nicht vom Himmel gefallen. Sie arbeiten bis heute ständig dafür.

Welche Faktoren haben sie zur größten Band Deutschlands gemacht?

Die Texte sind immer besser geworden. Es konzentriert sich bei ihnen sehr stark auf die Inhalte. Dazu kommt das Zusammenspiel von verschiedenen Experten, so muss man das ja wirklich nennen. Kuddel ist zum Beispiel ein absoluter Freak, was die Musik und den Sound angeht. Zu dem Thema hätten wir noch so viele weitere Beispiele reinbringen können. Vielleicht ist das ja mal etwas für einen Bonus-Clip für Musik-Nerds.

Video: Was hast Du neues über deine Bandkollegen erfahren?

Backstage-Bilder von nackten Oberkörpern und Bademänteln, Dreharbeiten auf wenigen Quadratmetern im Tourbus – wie kriegt man das hin, dass die Protagonisten vergessen, dass die Kamera mitläuft?

Für „Durch die Nacht mit“ haben wir genauso gearbeitet und dafür schon mehrere Grimme-Preise bekommen. Dokumentarisch arbeiten, heißt in erster Linie, dass du sehr, sehr viel drehst. Ich habe die Interviews bewusst abgesetzt und nicht auch noch Fragen gestellt, wenn wir auf irgendwelche Situationen drauf gehalten haben. Sobald man Fragen stellt, wird den Protagonisten die Kamera bewusst und sie agieren anders.

Wie hat das im Touralltag funktioniert, war die Band wirklich nie genervt?

Sagen wir es mal so: Sie haben das mit unterschiedlicher Begeisterung absolviert. Breiti hat mir mal gesagt, dass er am liebsten dort sei, wo unser Tonmann steht. Weil er dann nicht gefilmt wird. Ihn nervt das, wenn er mit Freunden beim Gespräch steht und irgendjemand hält mit der Kamera drauf. Wir haben versucht, das zu respektieren. Ich wollte aber auch nicht, dass er weniger gefilmt wird als die anderen.

Was ist von Breiti besonders hängen geblieben?

Wenn Breiti etwas sagt, dann hat das immer Hand und Fuß und ist genau auf den Punkt. Ich fand es besonders schön, dass er mir die Probensituation vor den Konzerten erklärt hat. Ja, eines meiner Highlights im Film ist, wie er von den „schnellen Achteln“ erzählt. Dass er so aufrichtig ist und zugibt, dass er da auf der Bühne auch mal etwas tricksen muss, fand ich außergewöhnlich. Ich glaube, dass die Fans genau das so sehr an den Hosen lieben.

Kannst Du das genauer beschreiben?

Was die Hosen am Ende ausmacht ist, dass sie so echt sind. Sie spielen den Fans nicht irgendein Image vor. Ihr Erfolgsprinzip ist einfach, dass sie den Leuten nichts vormachen. Da gibt es ganz viele Identifikationsmöglichkeiten. Sie behandeln ihre Fans gut, wollen eigentlich noch nicht mal, dass man sie Fans nennt. Es ist toll, dass es auf beiden Seiten eine so große Loyalität und Treue gibt.

Breiti ist es auch, der Campino einen Spruch drückt, als der in Argentinien den Weinkenner gibt...

Es war ja Spaß, aber bestimmt auch etwas ernst gemeint. Das Interessante ist aber, dass die Band wirklich nichts aus dem Film rausgeworfen hat. Auch bei der Szene hat keiner zu mir gesagt: Schneid das mal raus!

Ihr konntet also wirklich überall hin und Euch alles erlauben?

„Unser Kameramann Chris Rowe stand dann natürlich auch mal im Weg, der hat halt immer gefilmt. Er hatte intern schon den Spitznamen „Stahlnacken“…”

Ja, sie waren maximal mal einen Tag etwas genervt, das war in Gräfenhainichen. Unser Kameramann Chris Rowe stand dann natürlich auch mal im Weg, der hat halt immer gefilmt. Er hatte intern schon den Spitznamen „Stahlnacken“, weil er quasi mit der Kamera verwachsen war. Und da flog dann eben auch mal ein Handtuch...

Was man ja auch im Film sieht. Was war vorgefallen?

Das war direkt nach dem Konzert. Ich traf Chris vor der Tür zur Bandumkleide an, und er sagte zu mir: „Wir sind gerade rausgeschmissen worden.“ Ich habe es dann einfach nochmal versucht. Campino ist jemand, der sich schnell aufregt, aber auch schnell wieder abregt. Als ich ankam, war die Wut auch schon wieder verflogen, und wir konnten sofort weiterfilmen.

Habt Ihr denn klären können, was vorher los war?

Im Nachhinein hat er uns das nachvollziehbar erklärt. Campino war in dem Moment einfach sauer auf den Monitormann, wollte aber nicht, dass der bloßgestellt wird – was ja ein guter Gedanke ist. Es ging ihm in dem Moment also gar nicht um uns, sondern ausschließlich darum, das Team zu schützen. Es ist umso toller, dass dieser Moment im Film drin geblieben ist. Ich denke, so ein technisches Problem kann im Laufe einer Tour immer mal auftreten. Das hat ja auch nichts mit persönlichem Versagen zu tun.

Wie ist denn der Umgang hinter der Bühne sonst miteinander?

Die Hosen behandeln ihre Crew super. Das hörte man echt überall. Wir haben ja nicht nur mit den Mitarbeitern gesprochen, wenn die Kamera lief. Wir haben auch so ziemlich viel mitbekommen und uns mit vielen unterhalten. Wenn wir abends beim Bier zusammen saßen, hast du gemerkt, dass es wirklich so ist. Bei uns hat keiner irgendetwas vor der Kamera aufgesagt, was nicht der Wirklichkeit entspricht.

Der nächtliche Einbruch in das Schwimmbad in Dresden – so etwas kann man natürlich nicht planen!

Das haben wir tatsächlich gar nicht selbst gedreht. Campino rief mich nachts um zwei Uhr an – und die Kameraleute waren schon im Bett, die Kameras verstaut. Wir hatten vorher schon zwölf Stunden gedreht, das ist für die Jungs echt ein Knochenjob. Ich war im Nachhinein froh, dass im Freibad ein Freund der Band ein paar Clips gedreht hat. Das Material haben wir natürlich gerne genutzt.

Erlauben die Hosen sich auch mal irgendwelche Rockstar-Momente? Oder ist das tatsächlich immer so ein ewig währender Klassenausflug wie auch in der Szene mit dem ICE in Berlin?

Es gibt ja schon diese After-Show-Partys nach den Konzerten. Ich habe dann beobachtet: Kuddel ging immer als Erster, Andi und Breiti als Zweite – und Campino und Vom blieben noch. Da waren alle auch immer gut drauf! Das Thema Groupies scheint aber wohl eher abgeschlossen. Wenn sie noch Groupies haben sollten, habe sie die erfolgreich vor uns versteckt (lacht).

Das war aber auch nicht Euer Thema...

Wir haben uns auf die Chemie innerhalb der Band konzentriert. Und die ist nun einmal ein echter Boys Club. Da kommen relativ wenige Frauen vor... Manchmal habe ich gedacht, die sind wie so ein Fußballverein.

Berlinale 2019

Foto Bastian Bochinski

Wie wichtig ist das Thema Freundschaft im Hosen-Universum?

Es ist so, wie der Security-Mann René im Film sagt: Es gilt bei ihnen wirklich „Bis zum bitteren Ende“. Das ist kein Spruch, das meinen die ernst. Viele von der Crew haben das auch tätowiert, Patrick Orth hat das sogar auf seiner Hand. Sie sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Kiki hat dazu auch noch etwas Schlaues gesagt, das gar nicht im Film gelandet ist: „Sie sind wie eine Gang, sie waren immer eine Gang.“

Was bedeutet das ganz konkret?

Dazu gehört, dass man immer zusammensteht, immer zusammenhält. Nur wenn du so eine loyale Gemeinschaft hast, kannst du dich aufeinander verlassen. Viele andere Bands sind an Ego-Problemen gescheitert. Guns’n’Roses oder wer auch immer. Meistens wird der Sänger irgendwann größenwahnsinnig und will mehr Geld haben. Die meisten Bands scheitern doch am Geld.

Wie lief das bei den Hosen?

Die Hosen waren viel schlauer als andere und haben von Anfang an alles geteilt. Das ist ein ganz toller Gedanke, dass man das nicht aufrechnet. Man würde es ja auch nie schaffen, das hundertprozentig gerecht aufzuteilen. Dass ihre Freundschaft die Basis für alles ist, das bewundere ich an den Hosen. Die Probleme, die sie früher mal hatten, haben sie in den Griff gekriegt. Heute spielt sich keiner mehr in den Vordergrund.

In der Metallica-Doku geht es um eine große Bandkrise. War der Hörsturz von Campino – am Morgen des zweiten Konzerts in der Berliner Waldbühne – gewissermaßen ein Glücksfall für Euren Film?

So kann man das nicht sagen. Wir hatten wirklich Angst, dass er gar nicht mehr auf die Bühne kann. Für ihn persönlich war das schrecklich. Aber – natürlich ist jede Krise in einem Film gut für die Dramaturgie. Man baut eine gewisse Spannung auf. Für uns war diese Spannung ja auch ganz real. Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, ob wir den Film zu Ende drehen können.

Mit Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Foto Bastian Bochinski

Etwas Werkstattgespräch: Wie und wann hast Du vom Hörsturz Campinos erfahren? Ihr seid in diesem Moment ja extrem nah dran, sitzt mit der Band beim Krisengipfel am Tisch und dokumentiert gleichzeitig, was das für die Crew in der Waldbühne bedeutet.

Wir wollten an dem Tag in der Waldbühne drehen, waren schon morgens mit zwei Kamerateams vor Ort. Dann kam am späten Vormittag der Anruf von Andi. Er meinte dann so: „Das Konzert fällt heute aus.“ Ich habe zuerst gedacht, er will mich veräppeln. Das erste Konzert am Vorabend war genial gewesen, alle hatten hinterher beste Laune gehabt. Und wir hatten uns total darauf gefreut, den zweiten Abend zu drehen.

Wie habt Ihr in dem Moment reagiert?

Wir haben uns kurzerhand aufgeteilt. Ich bin mit einem Kamerateam sofort ins Hotel gefahren. Das andere Kamerateam hat den Abbau gefilmt und alles, was da noch hinter den Kulissen passiert ist. Es war dann natürlich stark, dass wir bei dem internen Krisengespräch mit Campino dabei sein durften. Die große Frage war: Was ist jetzt, wie geht’s Dir? Das wussten die anderen Bandmitglieder zu dem Zeitpunkt ja auch noch nicht.

Da gab es vorher keine Sitzung hinter verschlossener Türe?

Nein, in dem Film ist definitiv nichts nachgestellt. Es ist alles so zu sehen, wie es wirklich war.

An dieser Stelle wird auch deutlich, wie viel Verantwortung Campino als Sänger trägt, wie viele Menschen davon abhängig sind, wenn er aus gesundheitlichen Gründen ausfällt.

Ja, es hängt alles an Campino. Und das ist natürlich ein riesiger Druck. Der Hörsturz ist als Krankheit ja noch nicht so erforscht. Zu den Ursachen gibt es sehr viele unterschiedliche Meinungen von Ärzten. Stress kann auch einer der Gründe sein.

Zudem ist die Band eben schon etwas länger unterwegs...

Die frühen Punkjahre haben bestimmt auch ihre Spuren hinterlassen. In der Zeit war es eher uncool, Ohrstöpsel zu benutzen. Nach Konzerten Ende der 1970er-Jahre war ich jedenfalls immer zwei Tage taub. Man hat erst viel später damit angefangen, die Lautstärke zu drosseln. Dazu gibt’s auch eine Szene aus Gräfenhainichen, wo Andi einen Spruch nochmal etwas lauter wiederholen muss, damit Campino ihn versteht: „Wie Udo Jürgens im Bademantel!“

Wie habt Ihr die ungewisse Zeit nach dem Hörsturz erlebt?

Es waren sechs Wochen Pause, in denen Campino täglich in ärztlicher Behandlung war. Das haben wir nicht gedreht, weil das seine private Sache war und nicht unmittelbar mit der Band zu tun hatte. Ich glaube, ihm war das selbst nicht geheuer. Er erzählt uns dann später in einem Interview davon, dass er sich in der Phase gefragt hat, ob er 20 geile Konzerte gegen eine spätere Taubheit eintauschen möchte.

Mit Kameramann Christopher Rowe und Christina Bentlage von der Filmstiftung NRW

Foto Bastian Bochinski

Zu welchem Ergebnis kam er?

Er ist in der Zeit sicher mal ins Nachdenken gekommen, was da für ihn auf dem Spiel steht. Natürlich würde er sich am Ende immer für die 20 geilen Konzerte entscheiden. Campino würde ja nie aufgeben, er ist halt ein Kämpfer. Letztlich hat er auch keine andere Wahl, die Band ist nunmal sein Leben.

In der ARD-Doku „Nichts als die Wahrheit“ von Eric Friedler hat der verstorbene Band-Manager Jochen Hülder gesagt: „Wenn die Toten Hosen die UN wären“, dann sei Campino sicher nicht das kleine Bulgarien.

Ich habe mir immer gedacht, dass es so ist, aber ich habe jetzt selbst nochmal erlebt, wie er die Fäden zusammenhält. Ich finde: Er macht das auf seine sehr geschickte Art und Weise. Bei den Hosen hat jeder seinen eigenen Bereich, und er mischt sich auch nicht überall ein. Da, wo die anderen besser sind, lässt er sie machen. Ich finde toll, was die Band sich da aufgebaut hat und wie das funktioniert.

Was hast Du selbst während der Dreharbeiten erfahren, womit Du nicht gerechnet hättest?

Als ich irgendwann hörte, dass die Bandmitglieder auch noch zusammen in den Urlaub fahren, da habe ich mich schon sehr gewundert, dass das noch geht. Dass man nach so vielen Jahren immer noch so befreundet ist. Und – Kiki hat mir das auch nochmal bestätigt, dass das genauso ist. Bewundernswert.

Was bedeutet das für die Hosen als Band?

Ich glaube, dass der Großteil ihres Erfolgs genau daher kommt, weil eine größtmögliche Loyalität vorhanden ist. Eigentlich wollte ich deshalb auch noch das Stück „Freunde“ mit reinnehmen, aber wir hatten einfach keinen Platz mehr. Da muss halt irgendwann nochmal eine Fortsetzung gedreht werden (lacht).

Vom sagt im Film, dass die letzten Touren für ihn anders waren, dass der Druck weg ist. Hattest Du auch den Eindruck, die Hosen spielen zuletzt befreiter auf?

Ich kann es nicht ganz vergleichen, weil ich nicht so viele Konzerte früherer Touren begleitet habe. Vom hat das aus seiner eigenen Perspektive gesagt. Er meint damit wohl, dass er sich inzwischen noch mehr als ein Teil der Hosen-Familie fühlt, dass er erst jetzt so richtig akzeptiert ist. Er wird von niemandem mehr in Frage gestellt, und man schätzt ihn als Musiker – als Superdrummer. Das hat in seiner eigenen Wahrnehmung einfach eine Zeit gebraucht, bis er angekommen war.

Wie hast Du die Fans der Hosen erlebt, die ja nicht das Hauptthema Deines Films waren, aber doch immer wieder vorkommen?

Die Fans sind mit der Band älter geworden und bringen schon ihre eigenen Kinder mit. Ich mag die Stelle in dem Film, als das Mädchen sagt: „Ja, gute Erziehung, ne!“ Und im Hintergrund rufen die Eltern: „Ja, wir sind die Eltern, wir sind die Eltern!“ Das Mädchen war mit drei Jahren bei ihrem ersten Hosen-Konzert und führt die Familientradition jetzt weiter. Das ist ein bisschen wie bei den Rolling Stones. Da gehen inzwischen auch schon drei Generationen zusammen hin.

Was unterscheidet die Hosen als Band von anderen Live-Acts?

Die Energie, die sie rüberbringen, ist generell positiv. Marilyn Manson oder andere Bands behandeln ihre Fans extra schlecht, spielen nie eine Zugabe und sagen auch nicht „Tschüss“. Und das ist bei den Hosen genau anders herum. Du gehst immer mit einem guten Gefühl aus einem Hosen-Konzert heraus.

Die Konzerte dauern ja gerne mal weit über zwei Stunden. Inwieweit ist die Doku auch ein Film über fünf Leistungssportler?

Total! Es ist nicht zu übersehen, wie hart die Fünf an sich arbeiten und sich immer wieder verausgaben. Wenn Vom sich darüber lustig macht, dass die Deutschen halt immer arbeiten müssen, dann sagt Andi ganz ehrlich: Wir sind eben keine musikalischen Koryphäen. Campino vergleicht sich eigentlich andauernd mit einem Sportler. Er sagt: Was Leistungssportler mit dem Knie haben, habe ich halt mit den Ohren. Dieses an die Grenzen gehen und über die Grenzen hinaus – das zeichnet die Hosen definitiv aus. Es würde ihnen auch keinen Spaß machen, einfach nur ruhig herumzusitzen.

Im Film sieht man Campino auch, wie er in einer Kampfschule trainiert.

Der Trainer sagte bei den Dreharbeiten zu mir, es sei Wahnsinn, wie fit er ist. Überhaupt nicht normal für sein Alter. Das liegt daran, dass er das immer schon gemacht hat, auf sich geachtet hat. Es gibt ja auch Menschen, die sich gehen lassen. Zu dieser Sorte Mensch gehört Campino definitiv nicht.

Ihr habt in Deutschland und der Schweiz gedreht – und dann seid Ihr nach Argentinien gefahren. Was habt Ihr dort über die Hosen gelernt, was Ihr noch nicht wusstet?

Ich hatte immer erzählt bekommen, dass es in Argentinien etwas Besonderes ist. Was mich wirklich beeindruckt hat, war, wie emotional die Fans dort sind. Dass die so eine Leidenschaft für die Band haben. Die Leute, die wir für den Film herausgepickt haben, sagen ja sogar, dass die Hosen Teil ihrer Familie sind. Sie werden also fast als Argentinier gesehen. Die Menschen dort sagen: Wir lieben Punk-Rock und Fußball. Die Hosen und Argentinien, das passt einfach.

Was ist anders als in den deutschsprachigen Ländern?

Der Mix aus Begeisterung und Treue hat mich sehr beeindruckt. Die Fans dort gehen ja teilweise auch schon seit über 20 Jahren zu den Konzerten – immer, wenn die Hosen runterfliegen. Inzwischen kommen aber auch sehr viele junge Fans. Sie gehen zu einer deutschen Band, ohne selbst richtig Deutsch zu können! Manche können vielleicht ein paar Worte, aber die Meisten verstehen die Texte gar nicht. Die singen die Lieder einfach so mit.

Nach einjähriger intensiver Zusammenarbeit: Welche Eigenschaften sind sonst noch typisch für die Hosen?

Sie sind sehr perfektionistisch in dem, was sie tun. Sie wollen 100 Prozent und mehr. Und sie lassen nicht nach. Sie sind sehr genau in allem, was sie machen. Und genau das sorgt auch dafür, dass sie immer wieder eine solche Qualität erreichen, egal ob sie eine Platte aufnehmen oder ein Konzert spielen.

„Wir haben noch eine Menge tolle Sachen auf Lager, vielleicht kommt das mal irgendwann ins Bonusmaterial... “

Wie habt Ihr anschließend den Titel für den Film ausgewählt?

Wir hatten die ganze Zeit nur so einen blöden Arbeitstitel namens „Tourfilm“. Es sollte dann etwas sein, was dem Hauptthema gerecht wird – und das ist für mich die unglaubliche Energie, die vor, auf und hinter der Bühne zu spüren. Man gibt halt immer alles. Immer alles auf eine Karte setzen – das ist es, was die Hosen ausmacht. Und da passte „Weil du nur einmal lebst“ natürlich perfekt. Und – ich glaube, das macht auch Lust darauf, den Film anzuschauen.

Mal rein in Bildern gedacht: Was hast Du vor Augen, wenn Du persönlich zurückschaust und an den Film denkst?

Eine der stärksten Szenen ist für mich, wie beim Heimspiel in Düsseldorf die Arme der Fans hin- und hergehen. Das sieht aus wie in so einem Schwarm von Fischen. Fische, die nach links und nach rechts schwimmen. Das war zum Ende der Dreharbeiten visuell noch einmal total irre und sehr beeindruckend.

Der Film hat im Februar bei der Berlinale seine Premiere gefeiert. Campino hat anschließend gesagt: „Wir fühlen uns in dem Film sehr gut getroffen und hatten großes Vergnügen dabei, den Streifen anzusehen.“ Wie hat das Premierenpublikum, wie haben die Fans reagiert?

Ich war superglücklich über die Premiere, es ist unfassbar gut gelaufen. Die Online-Tickets waren innerhalb einer Minute ausverkauft. Im Kinosaal hat man gemerkt, wie die Fans die ganze Zeit mitgegangen sind. Wenn das so bleiben würde, wenn der Film offiziell anläuft, wäre ich sehr glücklich. Wenn die Stimmung immer so gut ist, das wäre natürlich großartig.

Was ist die beste Szene, die rausgeflogen ist?

Wir haben noch eine Menge tolle Sachen auf Lager, vielleicht kommt das mal irgendwann ins Bonusmaterial... Ich glaube aber, die stärksten Momente sind alle im Film gelandet. Was emotional interessant ist oder so unterhaltsam, dass wir selbst drüber lachen mussten, haben wir eingebaut.

Singen die Fans wirklich überall „Wünsch Dir was“ vor dem Konzert oder habt Ihr das inszeniert?

Nein, wir haben gar nichts inszeniert! Ich habe mich immer wieder gewundert, dass sie überall mit „Wünsch Dir was“ um die Ecke kamen. Sogar vor dem SO36 in Kreuzberg. Gesungen werden eigentlich immer zwei Klassiker: „Wünsch Dir was“ und „Bis zum bitteren Ende“. „Wünsch Dir was“ ist aber wirklich der Dauerbrenner, sogar in Argentinien haben sie das gesungen. Es ist auch schön, wie Campino im Film die Entwicklung dieses Songs erklärt. Der Text war zunächst zynisch gemeint und ist mit der Zeit ein positives Lied geworden. Wie sich Lieder manchmal verselbständigen.

Wie lange wird/kann das noch weitergehen?

Ich glaube, das kann noch ewig so weitergehen. So lange sie noch so fit sind, wie sie das sind, wird das auch weitergehen. Die Hosen hören erst auf, wenn sie das Gefühl haben, dass sie die Qualität nicht mehr bringen können. Und man sieht ja an den Stones, dass das auch noch mit knapp achtzig läuft. Insofern habe ich Hoffnung für die Hosen!