Im Jahr 1974 haben Sie eine neue Ära in der Düsseldorfer Altstadt eingeläutet...

1974 haben wir, meine Kollegin Ingrid Kohlhöfer und ich, den Ratinger Hof übernommen. Ich würde aber heute rückblickend sagen: Das war ein Schuss, der nach hinten losgegangen ist. Das Domino, das wir vorher betrieben haben, war eigentlich viel besser. Das war ein Laden von 30 Quadratmetern, mit Riesenboxen drin. Die Musik war das Wichtigste und hat alles beherrscht. Der Ratinger Hof war da eine ganz andere Nummer, erforderte zum Beispiel viel mehr Personal. Und zu dem Zeitpunkt, als wir ihn übernahmen, war der Hof eher noch eine Hippie-Kneipe mit Teppichen auf den Tischen und jointsgeschwängerter Luft. Ab 1974 wurde er aber dann eine ziemlich hippe Sache für Düsseldorfer Verhältnisse.

Der Ratinger Hof: Ende der 70er Jahre eine der Keimzellen der deutschen Punkbewegung

„Die ersten Punk-Cliquen im Ratinger Hof bestanden aus Kids, die nicht viel anders waren als ich - höchstens älter. Man traf sich jeden Nachmittag auf der Ratinger Straße, hing gemeinsam ein paar Stunden ab, wühlte in den Plattenregalen vom 'Rock On'. Wir waren wohl irgendwie befreundet. Wir waren es nämlich meist nur hier, in der Altstadt, selten zuhause. Jeder ist hinterher wieder allein nach Hause gegangen, wenn er das Gefühl hatte, für heute genug gelabert, gesoffen und gepöbelt zu haben.“

Campino

Welche Probleme hatte die Künstlerkneipe Ratinger Hof in den 70er Jahren in der Altstadt?

Damals musste nur einer mit einem Bier vor der Kneipe stehen, dann war die grüne Minna da. Wir hatten wirklich erhebliche Probleme damit, dass wir von der Polizei beobachtet wurden, weil man uns für terroristenfreundlich hielt. Außerdem spielten natürlich auch die sogenannten Drogen eine Rolle. Wir waren für die Verbrecher! Die Polizei setzte uns immer wieder erheblich unter Druck und sagten, sie würden uns nicht mehr so aufmerksam beobachten, wenn wir doch mit ihnen zusammenarbeiteten. Und wir sollten Ausschau nach Dealern halten. Wir haben aber immer nur gesagt: Bei uns gibt es keine Dealer, so ein Blödsinn!

Wer hat denn den Ratinger Hof eigentlich besucht, bevor er zum Punkschuppen wurde?

Das waren Künstler wie Palermo, Polke, Katharina Sieverding und mein Mann Imi natürlich. Und sogar Joseph Beuys war ab und zu da. Studenten von Beuys haben damals im Ruhrpott das Küchentheater gehabt und sind dann mit ihren Stücken auch bei uns aufgetreten. Wir haben immer versucht, uns zu öffnen, und in den Hof noch mehr kulturelles Leben reinzubringen. Bei uns gab es dazu als feste Veranstaltung die "Sonntagsgespräche", außerdem ist das Düsseldorfer Stadtmagazin Überblick bei uns gegründet worden, und der Keller wurde ab 1977 von vielen Punk-Bands als Proberaum genutzt.

Wie hat sich der Ratinger Hof unter Ihrer Leitung sonst noch verändert?

Den Kahlschlag haben wir Anfang 1977 vorgenommen, den ganzen Kitsch rausgeschmissen und Neonröhren eingebaut. Die normalen Altstadtbesucher hatten spätestens ab dem Zeitpunkt Angst, bei uns reinzukommen (lacht). Drinnen konnte sich von da an nicht mehr verstecken, man war gefordert! Und das machte auch die besondere Atmosphäre aus. Die ersten Punks in Deutschland haben sich ja auch sehr von den Punks in England unterschieden.

Campino Ende der 70er: Hier etwas unscharf, aber schon "frech und charmant"!

Wie waren die Düsseldorfer Punks der ersten Stunde gestrickt?

Die kamen aus ganz anderen, besseren Elternhäusern als die aus England. Es spielte sich alles mehr im Kopf ab, als dass es nur der Frust von Kids war, die nicht angehört wurden. Das waren zum großen Teil sehr liebe Leute, die einfach einen Ort suchten, wo sie mal explodieren konnten. Und da haben sie bei uns eine offene Tür gefunden. Die ersten Punks wie Peter Hein, die haben ja noch nicht einmal Alkohol getrunken (lacht). Und mir hat das natürlich auch gut gefallen: Wenn ich da schon hinter der Theke arbeiten musste, wollte ich wenigstens, dass anständige, selbstbewusste Gäste hinkommen. Es ging mir ja nie ums Geldverdienen.

Wer hat die ersten Punk-Platten in den Ratinger Hof gebracht?

Die ersten Platten hat wohl Peter Hein mitgebracht. Hinterher war es aber vor allem Jürgen Krause, genannt "Der Kamener". Der wohnte in Kamen, kaufte seine Platten aber immer in Düsseldorf ein. Weil er zwischen Plattenladen "Rock On" und Ratinger Hof keine Möglichkeit hatte, die Neuerwerbungen zu Hause abzustellen, brachte er sie zwangsläufig mit. Wer sich auch immer sehr gut auskannte, das war Markus Oehlen aus Krefeld, der an der Kunstakademie studierte. Den habe ich dann irgendwann gefragt, ob er nicht bei uns Platten auflegen wolle. Und bei mir selbst hat es Klick gemacht, als ich zum ersten Mal das Hammer-Album "The Modern Dance" von Pere Ubu hörte.

Wie wurde der Ratinger Hof dann zum legendären Konzertort?

1977 kamen diese ganzen Nachrichten aus England und Amerika. Endlich passierte mal etwas in der Musik. Wir haben damals ja auch regelrecht darauf gewartet, dass da mal etwas Anderes kommt als das tägliche Eingelulle. Und ich fand dann Ende 1977, dass die ganze Musik bei uns nur noch Sinn machte, wenn man auch live auftreten konnte. Wo später die Konzerte stattfanden, hatte sich vorher ein kleiner Western-Saloon befunden. Da haben wir dann die Billardtische zusammengeschoben, und ich habe zu den lokalen Punk-Bands gesagt: Kommt mal raus aus Eurem Keller!

Wie war das Publikum beschaffen?

Wenn wir für Wire mal neun Mark Eintritt genommen haben, gab es gleich ein unglaubliches Gemecker an der Tür (lacht). Die Mischung des Publikums war hinreißend, auf der einen Seite die ganz jungen, die eifrig Musik machten, auf der anderen Seite wir, die zehn bis 15 Jahre Älteren. Und wir fanden es ganz toll, mit welcher Frische die auf die Bühne stiegen, ohne wirklich ihre Instrumente zu beherrschen. Wir hatten Jimi Hendrix und Frank Zappa gesehen, aber das war trotzdem auch für uns wahnsinnig interessant. Und was uns besonderen Spaß machte, das waren die Texte. Ich glaube, dass im deutschen Punk die Texte auch viel wichtiger waren als die Musik.

Ich glaube, dass im deutschen Punk die Texte auch viel wichtiger waren als die Musik.

Stimmt es also nicht, dass der Düsseldorfer Alltag so war, wie es zuletzt im Buch "Verschwende Deine Jugend" beschrieben: Schlägereien, zerschlagene Bierflaschen, überall Blut?

Das hat mich an dem Buch etwas erschreckt: Der Gewaltaspekt war total übertrieben dargestellt. Was ich eher in Erinnerung habe, ist eine Grundfröhlichkeit, die bei uns herrschte. Mir kann ja auch keiner erzählen, dass er gerne dahin geht, wo er regelmäßig aufs Maul bekommt. Einmal ging es allerdings wirklich hart zur Sache, aber da hatte die Band Minus Delta T den Boden bereitet: Die hatten vorher bei ihrem Auftritt Eis zerschlagen und mit Tierkadavern rumgespielt. Man darf halt nie vergessen, dass "Verschwende Deine Jugend" ein Roman ist. Beim Beschneiden der Interviews ist eine Menge unter den Tisch gefallen. Und trotzdem war das Buch ganz wichtig.

Wie war denn damals Ihr erster Kontakt mit ZK, der Vorgängerband der Hosen?

Die haben mir mal in einer ganz schnellen Aktion die ersten Graffitis an die Wände des Hofs gesprüht. Da habe ich dann auch mal ein bisschen getobt! Das haben die aber gar nicht richtig verstanden. Ich habe nämlich nicht grundsätzlich getobt, weil sie das gemacht hatten, sondern weil ich die Graffitis einfach nicht gut genug fand (lacht). Zu der Zeit wurden die jungen Bands dann langsam auch musikalisch besser, und man pendelte dann eben zusammen zwischen Ratinger Hof und Okie-Dokie in Neuss.

Wodurch haben sich Campino und Co. von den anderen jungen Punks unterschieden?

Campino fiel schon damals besonders auf. Der war eigentlich von Anfang an eine Persönlichkeit. Und der war eigentlich auch von Anfang an ein Frontmann. Der war frech, aber auch charmant. Eigentlich war er sogar gut erzogen (lacht). Und dabei war er immer sehr aufmerksam und beobachtete genau, was so im Hof abging. Ich denke, er hatte auch Vorbilder in den anderen Gruppen, zum Beispiel den Peter Hein. Er hat sich immer sehr genau angeschaut, was die so machten. Und das war rückblickend sicherlich kein Fehler.

Wie haben Sie die anderen zukünftigen Hosen wahrgenommen?

Andi war auch so jemand, der sich im Ratinger Hof ganz genau umschaute und wahnsinnig neugierig war. Diese neugierigen Gäste sind mir auch immer mehr aufgefallen als diese coolen Konsumenten. Trini war etwas älter als Campino oder Andi und hat deshalb ganz andere Erfahrungen mitgebracht. Er war eigentlich schon damals diese sehr auffällige, unbestechliche Persönlichkeit, die er bis heute geblieben ist.

Aufnahme ZK-Album "Eddie's Salon", 1981

Er war eigentlich schon damals diese sehr auffällige, unbestechliche Persönlichkeit, die er bis heute geblieben ist.

Was war das Besondere an den Konzerten von ZK?

Der größte Pogo ging immer bei ZK ab, mehr als bei jeder anderen Band. Campino hatte bereits die nötigen Entertainer-Qualitäten, und die Musik war auch entsprechend angelegt. Andere Bands dieser Zeit wie zum Beispiel S.Y.P.H. haben ihre Musik an Stellen, wo es abging, eher mal intellektuell gebrochen. ZK kamen da schon eher aus der Rock-Ecke. Die kamen einfach von Anfang an mehr von der Musik, während die anderen Bands ja erst mit der Zeit einen Musikanspruch kriegten.

Campino, 1982

Was war das unvergesslichste Konzert mit ZK?

Das Kinderkonzert. Da haben ZK am Nachmittag im Okie-Dokie nur für Kinder gespielt und abends gab es dann ein normales Konzert für die Punks. Das Kinderkonzert haben sie wirklich hinreißend gestaltet, sind unter anderem im Clownskostüm aufgetreten. Den Kindern hat das so richtig gefallen, die durften dann auch mal auf die Bühne und auf der Blockflöte spielen. Dann haben sich die Musiker auch noch an die Wand gestellt - und die Kinder durften Berge von Negerküssen auf sie werfen. Das fand Anfang der 80er Jahre statt, und das hatte einfach Größe, so etwas zu veranstalten, während andere Bands nur an das abendliche einen Draufmachen dachten.

Kinderkonzert mit ZK: Carmen Knoebels Tochter mit Kuddel, Fabsi und Campino auf der Bühne

Sie haben von 1978 bis 1985 das Label "Pure Freude" und zeitweise in Düsseldorf den gleichnamigen Plattenladen betrieben. Seither sind Sie als Managerin Ihres Mannes, des Malers Imi Knoebel, tätig.

Die Endsiebziger waren insgesamt eine unglaublich schnelle Zeit. Und als ich 1979 im Ratinger Hof ausstieg, habe ich gedacht: Das war es! Jetzt fängt eine andere Zeit an. Ich habe dann mit meinem Label die Band Belfegore erfolgreich nach Amerika gebracht, bin aber an Red Crayola pleite gegangen. Jetzt arbeite ich seit fast zwanzig Jahren ebenso selbständig, aber eben auf einem anderen Gebiet..

Haben Sie Gemeinsamkeiten in der Punk- und Kunstwelt feststellen können?

Es gibt gleiche Gedanken bei Musikern wie Künstlern. Dass man Dinge herausfordern möchte, dass man Dinge nicht erlauben möchte, dass man als Person seinen klaren Vorstellungen folgen möchte. Die Ausdrucksformen sind zwar verschiedene, aber die Persönlichkeiten ähneln sich schon sehr, sind auch gleichermaßen schwierig (lacht). Außerdem hat der Punk die Kunst ja sehr angeregt. Die "Jungen Wilden" kamen nach dem Punk und nicht umgekehrt. Es musste also erstmal so etwas Freches auf der Bühne stattfinden, damit die Künstler damals komplett neue Bilder in den Kopf kriegen konnten.

Wie haben Sie den Aufstieg der Hosen zur erfolgreichsten deutschen Rockband erlebt?

Mit viel Freude. Um die Ecke von meiner Wohnung gibt es noch ein Graffiti von meiner Tochter: "Die Toten Hosen - Panks forever!" Punks hat sie damals noch mit "a" geschrieben. Und komischerweise ist das immer noch da (lacht). Das ist der wirklich berechtigte Erfolg der Toten Hosen. Die haben immer weiter gemacht und versucht, sich weiterzuentwickeln, und das alles: zusammen. Und anders geht das in einer Band auch nicht. Ich schätze, dass die Hosen über die Jahre ähnliche Probleme gehabt haben wie jede andere Band auch. Aber die haben das immer gut in den Griff gekriegt, sich miteinander auseinanderzusetzen.

Zwischen Punk- und Kunstwelt zu Hause: Carmen Knoebel

Wie beurteilen Sie denn aus der Kunstsicht das Band-Design der Toten Hosen, den charakteristischen Totenkopf oder Adler?

Die empfinde ich als sehr englisch - und die Engländer sind ja auch alle sehr kitschig und verstaubt. (lacht)

Die empfinde ich als sehr englisch - und die Engländer sind ja auch alle sehr kitschig und verstaubt (lacht). Dem Andi kann man aber schon mal mit moderner Kunst kommen, der hat da einen Sinn für. Aber zur Musik passt wohl immer noch eher der englische Muff. Und da habe ich dann auch nichts dagegen.

Zuletzt haben die Hosen für das Plattencover von "Reich & Sexy II" mit dem Fotokünstler Andreas Gursky zusammengearbeitet. Wie hat Ihnen dieses Bild gefallen?

Das Gursky-Foto fand ich von der Idee her richtig klasse, war dann aber wütend, dass diese gute Idee auf so einen glatten Prada-Stil reduziert wurde. Ich hätte mir da eine andere Coleur von Frauen gewünscht. Ich hätte mir auf keinen Fall gewünscht, dass die alle die gleichen Maße haben! Da fehlt mir einfach auch die kleine Dicke dabei. Letztendlich ist es trotzdem eher ein gutes als ein schlechtes Cover geworden. Aber es hätte auch ein sensationelles werden können.

Da fehlt mir einfach auch die kleine Dicke dabei. Letztendlich ist es trotzdem eher ein gutes als ein schlechtes Cover geworden. Aber es hätte auch ein sensationelles werden können.